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Therapie aus spiritueller Sicht
(eine mögliche Definition)
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Gegenstand meiner Betrachtung sind nicht die therapeutischen Komponenten der Medizin, sondern die geistig/seelische Dimension dessen, was wir im allgemeinen unter Therapie verstehen; die Arbeit der Bewußtwerdung und die Problem-Lösungen, die daraus resultieren bzw. die wir uns davon erhoffen.
Therapie ist zu wertvoll, um nur den Kranken vorbehalten zu sein (Polster). Über diesen Rahmen hinaus dient sie vor allem der Aufgabe, das noch unentwickelte Potential, das im Mensch-sein an sich angelegt ist, zur weiteren Entfaltung zu bringen. Wollen wir der Therapie diese Möglichkeiten zugestehen und eben diese gleichzeitig für unser eigenes Wachstum aufschließen, dann müssen wir - das ist meine Überzeugung - uns ziemlich konsequent von durchaus gängigen Vorstellungen über sie befreien.
Um verständlich zu machen, worum es mir in dieser Betrachtung geht, möchte ich kurz zusammenfassen, was ich für das Kern-Problem unserer menschlichen Existenz halte und gleichzeitig als eine eingeborene Aufgabenstellung betrachte:
In der Welt sein, aber nicht von dieser Welt sein - eine grundlegende spirituelle Weisheit, die von Christus auf diese Art benannt wurde. Das ist ein Paradox in sich und möchte von uns auch als ein solches Paradox gelebt werden. Hier wird eine WIRKLICHKEIT gezeichnet, die jedoch vom Blickwinkel unseres begrenzten Bewußtseins nur so erlebt wird, als stünde die EINHEIT selbst schon polar zur Dualität bzw. umgekehrt. In diesem Umstand liegt begründet, daß wir zumeist versuchen, den spirituellen Seins-Grund, den wir Gott nennen, ausschließlich mit unserem (dualen) Denken zu ergründen. So wird Gott zum Begriff, zum Objekt - irgendwo da draußen, weit von uns entfernt; versachlicht, ein Ding. Dieses Dilemma werden wir hier jedoch nicht entwirren.
Was aber bleibt, ist folgende Tatsache: (konkretes gelebtes) Leben ist Dualität. Beide Begriffe sind Synonyme. Alles was ist, und natürlich auch wir Menschen als Teil der Schöpfung werden in ein immer-währendes Spannungsfeld vielschichtiger universeller Kräfte hineingeboren - in die Polarität. Wir Menschen haben alle das Bedürfnis nach Ich-Behauptung und -Abgrenzung und gleichzeitig erleben wir die Sehnsucht nach Aufgehoben-Sein in der Hingabe an das Du. Wir brauchen sowohl unsere individuelle Freiheit als auch die Erfahrung von Verbindlichkeit und Verantwortungsbewußtsein. Risikobereitschaft und Sicherheitsdenken, Tradition und Fortschritt, Liebe und Haß, Logik und Irrationales... etc. ...die Assoziationskette divergierender menschlicher Seinszustände würde nicht abreißen.
So leben die unterschiedlichsten Pole in jedem von uns und wir sind alle immer und immer wieder aufs Neue dazu aufgerufen (manchmal auch durch schicksalhafte Ereignisse hart herausgefordert), sie in schöpferischer Weise auszubalancieren, damit sie uns nicht zerreißen. Das ist der zugrundeliegende Stoff, aus dem unsere Probleme geschneidert sind - die kleinen Alltäglichen und auch die großen Krisen, die uns alle von Zeit zu Zeit immer wieder bewegen - und wir können dem nicht ausweichen.
Aus meiner Sichtweise heraus ist Therapie kein Medium, um unsere grundlegenden Lebensprobleme (die Gegensätze des Lebens) endgültig abzuhaken bzw. sie zu lösen! Derartige Bilder überhöhter Heilserwartungen entsprechen aber durchaus einer gängigen Vorstellung von Therapie - sowohl (vorrangig) unter Laien und Klienten als auch (durchaus) unter Therapeuten der verschiedensten Art. Umgekehrt gibt es - entsprechend unserem üblichen Schwarz/Weiß-Denken - natürlich auch ganze Heerscharen von Menschen, die Therapie entweder für überflüssig oder gar für Scharlatanerie halten.
Was sind dann Kern, Wesen und die realen Möglichkeiten von Therapie? Das zugrundeliegende Mißverständnis scheint mir darin zu liegen, daß wir unter Probleme lösen oder er-lösen allermeist so etwas wie auf-lösen verstehen. Aber das konkrete Leben - im Sinne einer Aufgabe bzw. eines Problems - ist Dualität und diese Dualität läßt sich nicht auflösen, ohne das Leben selbst (Individuum, Schöpfung) aufzulösen. Wir können nur lernen, die Gegensätze bewußtseinsmäßig zu umfassen, sie schöpferisch zu EINEN - im Umfassen, EINS mit ihnen, EINS mit der Schöpfung zu werden.
Aus diesem Grunde ist Therapie für mich keine temporäre Lebenserscheinung innerhalb eines bestimmten Lebensabschnitts. Sie beginnt und endet auch nicht zu einer bestimmten Uhrzeit periodisch im Workshopraum oder an der Eingangstür zur Praxis des Therapeuten - weder für den Klienten noch für den Therapeuten selbst. Ihr eigentliches Phänomen möchte ich mit dem Begriff Therapeutisches Selbst-Engagement bzw. Therapeutisches SELBST-Engagement bezeichnen. Darunter verstehe ich eine nie endende Lebenshaltung, ein spirituelles Grundbedürfnis, mit dem wir dem evolutionären Drängen des innersten SELBST aktiv Raum geben. Sie ist dabei nicht an Umstände, Zeiten, symptomhafte Zielsetzungen, wie z.B. persönliches Glück, persönlicher Wohlstand, persönlicher Erfolg etc. gebunden. Ebensowenig an ganz bestimmte Methoden oder Therapeuten - aber immer in enger Tuchfühlung mit den kosmischen Wachstumsgesetzen in uns selbst.
Der tatsächliche Gang zum Therapeuten oder zum Workshop in bestimmten Phasen unseres Lebens dient - in letzter Konsequenz des hier Gemeinten - ausschließlich dazu, die Werkzeuge kennen- und gebrauchen zu lernen, die uns im weiteren Verlauf unseres Lebens dazu befähigen, genauer und bewußter wahrzunehmen, bzw. mit uns selbst und der Welt (beides ist identisch) in einen realen Kontakt zu kommen und zu bleiben. Das Heil jedoch, kommt immer und ausschließlich nur aus uns selbst bzw. aus unserem Höheren Selbst. Die, mit diesem Prozeß gekoppelten Umstände, Menschen, Methoden und Therapeuten haben ebenfalls immer und ausschließlich nur Katalysatorfunktion, sind niemals ursächlich an den erfahrenen Entwicklungsprozessen beteiligt.
Therapie gibt uns die Chance, den Zugang zu unserer Innenwelt immer und immer wieder zu öffnen, bis diese Bereiche zu unserem erweiterten Zuhause gehören. Über diesen stabilen Zugang entwickeln sich parallel zueinander ein größeres Maß an Kreativität, ein breiteres Spektrum an Erlebens- und Ausdrucksmöglichkeiten und zunehmende Bewußtheit.
Wir können lernen, uns bewußter und voller aufs Leben einzulassen; bereit zu sein, relativ kalkulierbare Risiken einzugehen; wir können lernen zu beten (was immer jeder einzelne darunter verstehen mag - vorausgesetzt das Beten wird dabei nicht zum Bittgesuch des Ego degeneriert); zu weinen (ohne erpresserischen Beigeschmack) - (auch als Therapeut vor und mit dem Klienten); die Zähne zu fletschen (ohne zu zerfleischen); Demut und Geduld zu kultivieren; Vertrauen zu haben; zu meditieren; zu imaginieren; zu lieben (ohne Saccharin); zu singen; aufrichtig uns selbst und anderen gegenüber zu sein; zu verzeihen; die eigenen Schwächen und natürlichen Grenzen anzunehmen; Verantwortung zu übernehmen; dem Tod - auch im Leben - offen zu begegnen und gefühlte Inbrunst als Ausdruck von Lebensfaszination und -freude ekstatisch nach außen zu tragen.
Dies sind die realen Früchte von Therapie im hiesigen Verständnis und sie stellen sich nicht schnipp - auf Knopfdruck ein, sondern eher unspektakulär in einem langsamen, organisch-stabilen Reifungsprozeß im Verlauf unseres fortschreitenden Lebens. Wenn wir dann diese realen Früchte ernten, lösen wir zwar auch dann noch nicht endgültig unsere Probleme, aber über Bewußtheit und die beschriebenen seelenvollen Gaben kommen wir in die schöpferische Situation, mit diesen Problemen in einer sinnhaften Weise umzugehen, sie durch gewonnene Seelenstärke zu tragen.
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